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Appetizer:
Hinschauen lohnt sich.

Als künstlerisches Experimentierfeld ist die Druckgrafik heute spannender und vielfältiger denn je. Gerade weil sie nicht immer im Rampenlicht steht. Von Beat Reck

Druckerpresse und Geld. „Prints by the biggest names in art – at surprising prices.“ So preist das Auktionshaus Christie’s Druckkunst der Gegenwart an. Wer sich keine teure Malerei leisten kann, so die Botschaft, kann ja mit preiswerter Druckgrafik einsteigen. Einmal mehr wird Druckgrafik als Kunst fürs schmale Protemonnaie vermarktet, während die siebenstelligen Unikate als Publikums- und Umsatzbringer im Rampenlicht stehen.

Diese Rolle ist sich die Druckgrafik gewohnt: Sie ist als Reproduktionsmedium gross geworden und musste schon seit ihren Anfängen das nötige Kleingeld zum Künstlerhaushalt beisteuern. Dürrers Mutter verkaufte auf dem Nürnberger Markt Kupferstiche, um die Studienreise ihres Sohns nach Italien zu finanzieren. Von Rembrandt bis Hopper war man sich einig: Mit der Druckpresse liess sich nebenbei auch das Geld für den Lebensunterhalt drucken.

Vielfältiges Experimentierfeld. Doch wer Druckgrafik bloss als Nebenprodukt des künstlerischen Schaffens betrachtet, verpasst mehr als eine Chance. Längst hat eine Vielzahl von Gegenwartskünstlern das Medium „Print“ zum ebenso spannenden wie eigenständigen Experimentierfeld gemacht. Dabei geht es nicht nur das verkäufliche Resultat, den säuberlich signierten Druck, sondern ebenso um den kooperativen und kreativen Prozess des Druckens.

Schaut man Künstlern wie Peter Doig beim Drucken über die Schulter, entdeckt man das Medium Druck neu. Anlässlich seiner Ausstellung im Beyeler Museum 2015 konnte man eine Auswahl druckgrafischer Arbeiten bewundern. Für den weltbekannten Malerstar ist der Druckprozess mit all seinen Tücken und Unabwägbarkeiten zugleich eine Art Bildfindung. Die entspannte Zusammenarbeit mit dem Zufall ermöglicht, neue Motive zu erkunden und sie auf überraschende Weise zu variieren und zu paraphrasieren.

Print Masters und Master Printers. Während Peter Doig sein druckgrafisches Werk gerne im eigenen Atelier entwickelt, gibt es rund um die Welt Druckwerkstätten, in denen Künstler auf das Können und die Erfahrung von „Master Printers“ zählen. Beispielsweise auf Niels Borch Jensen und sein Team. 1979 in Kopenhagen gegründet, druckt in Niels Borch Jensens Werkstatt heute die erste Riege der Gegenwartskünstler, von Per Krikeby über Georg Baselitz und Olafur Eliasson bis zu Tacita Dean und Tal R.

Druckwerkstätten sind aber immer auch Orte des des Lernens und des Weitergebens von Wissen. So gehört Amerikas Vorzeige-Druckwerkstatt Graphicstudio zur University of South Florida (Tampa) und ist in die Ausbildungsbetrieb der Uni eingebunden. Hier druckten schon Robert Rauschenberg, Alex Katz, Ed Rusha und Jime Dine. Wie die Druckwerkstatt von Niels Borch Jensen, bietet auch Graphicstudio eine verführerische Vielzahl von Techniken, vom traditionellen Holzdruck bis zur grossformatigen Heliogravüre.

Handwerk trifft Technik. Drucktechniken sind auf viel direktere Art in politische und gesellschaftliche Entwicklungen eingebunden als die meisten anderen künstlerischen Ausdrucksformen. Sie wurden ja durchs Band weg für Massenmedien entwickelt: von den Holzschnitt-Flugblättern der Reformation über die flächendeckende Kupferdruck-Kultur der Aufklärung bis zu den Farblithos der Grossauflagen-Presse. Diese einzigartige Dimension der Druckgrafik wird heute von Künstlern gerne wieder reaktiviert.

So versteht sich etwa das 2010 gegründete malaysische Künstlerkollektiv Pangrok Sulap, das mit seinen grossformatigen Holzschnitten mittlerweile auch auf Kunst-Biennalen auftritt, als politischer Dienstleister an der lokalen Gemeinschaft. Pangrok Sulap greift aktuelle politische und gesellschaftliche Themen auf, setzt sie plakativ um und inszeniert dabei Vernissagen gerne mal als politische Performances. Dabei beruft Pangrok Sulap auf jene Tradition der asiatischen Druckgrafik, die sich mit ihren antikolonialen Botschaften ins Tagesgeschehen einmischte.

Druck mischt mit. Seit ihren Anfängen liebt die Druckkunst das politische Abenteuer ebenso wie das Grenzgängertum. Auch deshalb schlug sie sich nie ganz auf die Seite des „Guten, Wahren, Schönen“. Das bürgerliche Kunstverständnis mit seinem Geniekult und seiner Fixierung auf das zeitenthobene Unikat, war ihr immer etwas suspekt. Sie kam aus dem Handwerkertum und paktierte lieber mit dem technischen Fortschritt. Genau das Richtige also für Künstler wie Christian Marclay, die ein offenes Auge und ein offenes Ohr für die Gegenwart haben. Der US-schweizerische  Doppelbürger und Venedig-Biennale-Preisträger (Jg. 1955) arbeitet mit einer verwirrenden Vielzahl von Medien. Unter anderem auch mit dem Medium Holzschnitt. Seine plakativen Prints mit dem Titel „Scream“ verbinden unterschiedlichste Grafikstile und wollen eigentlich gehört sein: „In meiner Arbeit geht es darum, wie Sound visuell umgesetzt werden kann“. Natürlich bezieht sich Christian Marclays Serie auch auf einen der bekanntesten Prints, auf Edward Munchs „Der Schrei“.

Für Überraschungen gut. Druckgrafik versucht sich heute auf unterschiedlichste Weise Gehör zu verschaffen. Und wenn sie dabei nicht auf der grossen Bühne spielt, umso besser. Denn sie ist wie gemacht für überraschende Auftritte und intensive Begegnungen. Wer ein Sensorien für Print entwickelt, wird schnell zum begeisterten Entdecker. Das ist das Paradox: Eigentlich als Massenmedium populär geworden, ist Druckgrafik heute etwas für all jene, die jenseits des Mainstream nach visuellen Abenteuern suchen. Dabei geht es um alles andere als um „the biggest names in art – at surprising prices.“

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